Nach dem Untergang des Römischen Reiches entwickelten sich die Gebiete nördlich der Alpen politisch wie auch kulturell.
Unter der Regentschaft Karls d. Großen begann ein Zeitalter kultureller Blüte. Der Machtbereich der römisch-deutschen Kaiser erstreckte sich bis nach Italien und Spanien. Erst im 11. Jhd. erkämpften sich die großen lombardischen Städte wie Mailand, Verona und Venedig Souveränität. Die Normannen, von Skandinavien kommend, eroberten und besiedelten im 11.Jhd. England, Süditalien und Sizilien. Im Norden und Osten Europas führte die Missionierung der „Heiden“ zur Eroberung der Länder und Völker bis zum Baltikum.
Weniger dauerwirksam, aber gleichwohl kennzeichnend für die Macht des Abendlandes waren die Auseinandersetzungen mit dem Islam während der Kreuzzüge (1096-1270).
Typische Erkennungsmerkmale romanischer Baukunst sind Rundbögen, Rundbogenfenster, Säulen mit blockartigen Kapitellen, kleine Fensteröffnungen und dicke, wuchtige Mauern.
Kirchenbau
Saint Gilles, Südfrankreich
Mit dem Kirchenbau im spätromanischen Stil wurde 1116 begonnen und die Arbeiten sollen sich bis zur Fertigstellung über 70 Jahre hingezogen haben. Untersuchungen haben ergeben, dass die Portalfassade zwischen 1125 und 1150 gebaut wurde.
Der Legende nach soll sich ein reicher Kaufmann aus Athen, Ägidius, hierher in die Einsamkeit zurückgezogen haben, um ein Leben in Armut und Enthaltsamkeit zu führen. 680 gründete Ägidius die Abtei von Saint-Gilles und leitete als Abt diese bis zu seinem Tode. (Die Klostergebäude errichtete der König). Man sagt, Ägidius, der später „Saint Gilles“ genannt wurde, habe zu seinen Lebzeiten einige „Wunder“ vollbracht.
Kurz nach seinem Tode zogen Pilger zu seinem Grab und im Laufe der Zeit entwickelte sich St-Gilles zu einer bedeutenden Pilgerstation. Selbst Ziel einer Wallfahrt wurde der Ort auch zu einem Sammelpunkt für die Jakobspilger. (Im 13. Jhd. soll die Stadt 40.000 Einwohner gehabt haben, heute hat sie 13.500). Im Hugenottenkrieg 1562 wurde der Kirchenbau weitgehendst zerstört.
Die Wendel- bzw. Spindeltreppe ist die architektonisch bedeutendste Erfindung im Treppenbau. Sie bietet die Möglichkeit auf kleinem Grundriss eine große Höhe zu überwinden. Im 11. und 12. Jhd. fertigte man Wendeltreppen in einem gemauerten Zylinder. In den Mittelpunkt setzte man Rundsteine zu einer Trommel aufeinander und ein steigendes Tonnengewölbe trug die Stufen.
Die Arbeiten der herausragenden Treppenanlage im Kirchenbau sollen sich über Jahrzenten hingezogen haben.
Der Treppenturm neben dem Chor blieb in großen Teilen erhalten. Der Treppenlauf ist von einer steigenden Ringtonne überwölbt. Die Natursteine mussten der dreidimensional gekrümmten Wendelung angepasst und sphärisch zugehauen werden. Die Kunst der immer wiederkehrenden Gleichmäßigkeit erfordert größtes Können. Generationen von Steinmetzgesellen sind seit dem Mittelalter auf dem Weg nach Toulouse zu Saint- Gilles gepilgert.
Der Schiefe Turm von Pisa, Italien
Gebaut als Glockenturm (Campanile) für den Dom von Pisa. Der Turm zeichnet sich durch viele Arkadenreihen aus.
Grundsteinlegung: 9. Aug.1173
Baustopp am 4. Stock: 1178
Weiterbau bis 7. Stock: ca. 1272-1278
Fertigstellung des Glockenstuhls: um 1370
Neigung des Turms: ca. 5,5 Grad
Neigung bis 7. Stock: 4,5m
Absenkung des Fundamentes: ca. 3m
Turm Höhe: 58,40 m
Turm Durchmesser: 12 m
Stockwerke: 8
Material: Marmor
Gewicht: 14.200 t
Steigungen: 300
Stufensteigung: 19,4 cm
Spindel Ø: 19 cm
Auf 360 Grad: 12 Stufen
Der Turmuntergrund besteht aus 10 Meter dicken unterschiedlichsten weichen Gesteinsschichten (Sedimenten), danach kommt eine 40 Meter dicke weiche Lehmschicht und danach eine dichte Sandschicht. Bohrungen haben ergeben, dass die Lehmschicht durch das Gewicht des Turmes eine Schüsselform angenommen hat.
St.Michael, Hildesheim Niedersachsen
St. Michael ist eine der bedeutendsten erhaltenen Kirchen im ottonischen oder vorromanischen Baustil.
Im Gesamtbau und in den Einzelformen wird eine neue Freiheit und Unabhängigkeit von Antikem, Frühchristlichem, Byzantinischem und auch Karolingischem erreicht. Die Gesamtansicht verdeutlicht die strenge kubische Ordnung, die den Eindruck altertümlicher (archaischer) Macht ausstrahlt.
Die ottonische, vorromanische Kirche wurde von Bischof Bernward 993 n.Chr. als Kapelle geplant und 996 n. Chr. geweiht. Als er vom römisch – deutschen Kaiser Otto III. eine erhebliche Schenkung erhielt, baute er das Gebäude zu einem großen Benediktinerkloster um und wurde am Michaelistag (29. September) 1015 von ihm geweiht.
Das Bauwerk hat zwei ausgeschiedene Vierungen mit Türmen, und das Langhaus mit Stüzenwechsel ist nach dem Gebundenen System drei Vierungsquadrate lang. Die Kirche hat zudem zwei Chöhre und vier Treppentürme. Diese reiche Außengruppierung, die von hieraus im ganzen Reich ausschlaggebend wurde, ist eine Fortsetzung von Centula, hält also an der Voraussetzungen des 8. – 10. Jh. fest, die bis ins frühe 13. Jh. gültig blieben.
Die Wendeltreppen bestehen aus einer steinernen Ringtonnenwölbung. Gesamtdurchmesser 275 cm, Laufbreite 110 cm, Spindeldurchmesser 55cm.
Unter Vierung wird im Kirchenbau der Raum bezeichnet, der beim Zusammentreffen des Haupt- und Querschiffes einer Kirche entsteht.
Ist die Vierung bei einem quadratischen Grundriss optisch durch Vierungsbögen und Vierungspfeiler gegen Langhaus, Querhausarme und Chor abgegrenzt, so handelt es sich um eine ausgeschiedene Vierung.
Kaiserpfalz, Gelnhausen
Der Staufer Kaiser Friedrich I. (1122 – 1190), auch Barbarọssa genannt, war von 1152-1190 römisch-deutscher König und von 1155 bis zu seinem Tode im Jahr 1190 auch römisch-deutscher Kaiser.
Mit den Bauarbeiten seiner Kaiserpfalz in Gelnhausen, auch Barbarossaburg genannt, wurde ungefähr 1170 begonnen. Die Anlage an der mittelalterlichen Überlandstraße, der Via Regia, die von Paris bzw. von Santiago de Compostela Nord Spanien bis nach Kiew führte, diente dem Ausbau des Reichsbesitzes. Man sagt auch, dass Kaiser Friedrich in Gelnhausen eine Freundin gehabt haben soll namens Gela.
1180 fand in der Pfalz ein großer Hoftag statt. Der Welfe Heinrich der Löwen, ein Vetter Barbarossas, hatte dem Kaiser in einer militärischen Auseinandersetzung die Gefolgschaft versagt. In Abwesenheit des Welfen wurde ihm der Prozess gemacht und seine Länder Sachsen und Bayern unter den Fürsten aufgeteilt.
Die Wasserburg im Kinzigtal, die auf einer kleinen Anhöhe vom Fluss umschlossen wurde, ist auf etwa 12.000 Eichenpfählen errichtet worden. Sie bestand aus einer Kernburg und der Vorburg. In späteren Jahrhunderten verkam das Bauwerk zu einem Steinbruch, an dem sich die Bevölkerung reichlich bediente.
Heute sind noch Teile der Ringmauer, die reich geschmückte Hoffassade des Pallas (Saalbau) und Reste der Burgkapelle erhalten. Die Bauteile sollen zu den bedeutendsten Profanbauten (Gebäude für weltliche Zwecke) der Romanik gehören.
Es gibt noch zwei Treppen. Die so genannte Südtreppe, die auch die Haupttreppe ist, liegt zwischen zwei Mauerscheiben, auf denen die Stufen aufliegen.
Die Treppenbreite beträgt 78 cm, gerade breit genug für einen „schmalen“ Kaiser, König oder bewaffneten Ritter. Aber eine breitere Treppe hätte einem Angreifer zu viel Raum zum Kämpfen gegeben.
Da sich der Kaiser nur wenige Monate in seinen Pfalzen aufhielt, setzte er einen Burggrafen und Burgmannen ein, die die Reichsburg vor Übergriffen schützten.
Das Steigungsverhältnis der Treppe ist weit davon entfernt wie wir es heute kennen. Die meisten Stufen haben eine Steigung von 22,5 cm, das Minimum beträgt 21 cm, das Maximum ist 28 cm.
Der Auftritt beträgt durchschnittlich 34 cm ±1,5 cm. Nach Aussage von Prof. Dr. Friedrich Mielke liegen die Maß-Differenzen im Bereich dessen, was zu jenen Zeiten üblich gewesen ist. Sie sind die charakteristischen Kriterien des Treppenbaues ihrer Epoche.
Hedingham Castle, England
liegt in der Grafschaft Essex an der historischen Straße von Colchester nach Cambridge und war über 5. Jhd. der Stammsitz der Familie de Vere.
Das jetzige Erscheinungsbild erhielt die Burg zwischen 1130 – 1150 unter Aubrey II. Dieser wurde von König Heinrich I. zum Lord Great Chamberlain ernannt.
Das Gebäude hat die Außenmaße von 18 x 16 m. Die Höhe beträgt 21 m. Die zwei verbliebenen Ecktürme ragen noch 7,6 m über das Hauptgebäude. Das Bauwerk hat insgesamt 5 Stockwerke und ist mit einem Zeltdach vor Regen geschützt.
Die Treppe steht in einem gemauerten Zylinder. Die Säule besteht aus Rundsteinen an denen sich das steigende Tonnengewölbe auflegt. Der Stufenoberbelag besteht aus hochkant gestellten Backsteinen. Seile, an Innen- und Außenseite gespannt, erleichtern dem Besucher den Auf- und Abstieg.
Judenbäder – Mikwe
Einleitung
Um 1120 wurde in Speyer (Rheinland-Pfalz) das erste jüdische Ritualbad errichtete und ist damit das älteste seiner Art nördlich der Alpen.
Für jede Jüdische Gemeinde ist das religiöse Tauchbad, die Mikwe, ein unabdingbarer Bestandteil ihrer Gemeindeeinrichtungen. Die Mikwe hat nichts mit Körperpflege zu tun, sondern mit der Reinigung der Seele aus religiösen Gründen durch eine Art „Heilwasser“.
Das Wort Mikwe stammt aus dem Hebräischen und bedeutet wörtlich „Wasser-Ansammlung“. Eine Mikwe muss ein Wasservolumen von mindestens 500 Liter umfassen und mindestens sieben Stufen vorweisen. Ihr Wasser muss „lebendiges“ Wasser aus einer Quelle, einem Fluss, oder auch gesammeltes Regenwasser sein.
Das rituelle Tauchbad ist für Frauen und Männer von großer Bedeutung und gehört zur Standardeinrichtung einer jüdischen Gemeinde. Die Mikwe ist „kein heiliger Ort“. landläufig auch „Frauenbad“ genannt.
Traditionelle Reglungen schreiben den Besuch der Mikwe Männern und Frauen vor, auch für Gläubige vor dem Übertritt zum Judentum. Auch neues Geschirr und Küchengeräte müssen in der Mikwe gespült werden, um nach den Vorschriften kultisch rein zu sein. Für den Schächter, der das rituelle Schächten vornimmt und den Mohel, den Fachmann der die männliche Beschneidung nach jüdischer Sitte vollzieht, dient die Mikwe zum „Koschern“ ihrer Messer.
Mitglieder der Gemeinde die für Verstorbenen und Beerdigung zuständig sind, müssen nach der Berührung von Toten die Mikwe aufsuchen.
Streng und genaue Vorschriften zur Benutzung der Mikwe nach einem festliegenden Ritual bestehen für Frauen vor der Hochzeit, nach der Menstruation und nach der Geburt eines Kindes. Eine Frau, die menstruiert, gilt als „Nidda“, als „Abgesonderte“, bis sie nötigen Rituale durchgeführt hat, diese sie wieder rein werden lassen.
Im konservativen und liberalen Judentum ist für Frauen die Benutzung der Mikwe vorgeschrieben, obwohl das Gebot fast nur noch von strikt orthodoxen Frauen befolgt wird.
Sehr frommen Männern ist der Gang zur Mikwe vor dem Sabbat und vor hohen religiösen Feiertagen, z.B. Jom Kippur empfohlen.
Der Würzburger Rabbiner Seeligmann Bär Bamberger beschrieb 1922 das Ritual des Tauchbades: „Man geht ganz entkleidet in die Mikwe und taucht darin derart unter, dass der ganze Körper nebst sämtlichem Kopfhaar gleichzeitig vom Wasser bedeckt wird. Hierbei ist darauf zu achten, dass sich kein Körperteil in einer solchen Lage oder Stellung befinde, durch welche der Zugang des Wassers zu irgend einer Stelle des Körpers gehindert wäre. So dürfen z.B. die Füße nicht allzu nahe zusammengestellt, die Arme nicht fest am Körper angelegt, die Hände nicht geschlossen werden. Es muss eine ungezwungene Haltung wie beim gewöhnlichen Gehen beobachtet werden. Bei dem Untertauchen ist darauf zu sehen, dass der Zugang des Wassers zu keiner Stelle des Körpers gehemmt ist. Man darf sich deshalb auch nicht zu sehr bücken, um etwa entstehende Körperfalten zu vermeiden; das Untertauchen soll in kauernder Stellung geschehen.
Nach dem Tauchbad trocknet sich die Frau und steigt die Stufen wieder empor mit dem Bewusstsein, dass sie die sexuellen Beziehungen zu ihrem Ehemann nun wieder aufnehmen kann.“
Das 3. Buch Mose, Buch Levitikus (abgeschlossene Sammlung von Kultischen Gesetzen und Niederschriften) im Alten Testament, beginntKapitel 11 mit den „Reinheitsgesetzen für Mensch, Tier und Gerät“
Das 15. Kapitel von „Von leiblicher Unreinigkeit“
1. Und der Herr redet mit Mose und Aron und sprach:
2. Redet mit den Kinder Israel und sprecht zu ihnen: Wenn ein Mann an seinem Fleisch einen Fluß hat, derselbe ist unrein.
3. Alles Lager, darauf er liegt, und alles, darauf er sitzt, wird unrein werden.
6. Und wer sich setzt, wo er gesessen hat, der soll seine Kleider waschen und sich mit Wasser baden und unrein sein bis zum Abend.
13. Und wenn er rein wird von seinem Fluss, so soll er sieben Tage zählen, nachdem er rein geworden ist, und seine Kleider waschen und sein Fleisch mit fließendem Wasser baden, so ist er rein.
14. Wenn ein Weib ihres Leibes Blutfluß hat, die soll sieben Tage unrein geachtet werden; wer sie anrührt, der wird unrein sein bis auf den Abend.
20. Und alles, worauf sie liegt, solange sie ihre Zeit hat, wird unrein sein, und worauf sie sitzt wird unrein sein.
28. Wird sie aber rein von ihrem Fluss so soll sie sieben Tage zählen; danach soll sie rein sein.
31. So sollt ihr die Kinder Israel warnen vor ihrer Unreinigkeit, dass sie nicht sterben in ihrer Unreinigkeit, wenn sie meine Wohnung verunreinigen, die unter ihnen ist.
Insgesamt 33 Gebote.
Mikwe in Speyer
Geschichte der Juden in Speyer, Rheinland-Pfalz
Die Juden in Speyer wurden als Fernkaufleute und Bankiers von Bischof Rüdiger 1084 und Kaiser Heinrich IV. 1090 mit weitreichenden Privilegien ausgestattet, wodurch sie eine rechtlich bessere Stellung als der Großteil der christlichen Bevölkerung erhielten. Speyer hatte zu dieser Zeit 500 Einwohner. Die Juden gehörten teils weit verbreiteten und international tätigen Familien an, die über die Landbrücken der iberischen und italienischen Halbinseln die Kontakte mit dem islamischen Orient aufrecht erhielten und das Abendland mit Luxusgütern des Nahen und Fernen Osten versorgten. Im Gegensatz zur Mehrheit der christlichen Bevölkerung konnten sie lesen und schreiben und sprachen oft mehrere Fremdsprachen.
1084 Ansiedlung von Juden in Speyer durch Bischof Rüdiger
1096 Kreuzzugspogrom in Speyer (11 Tote)
1120 Bau des jüdischen Ritualbades
1349 Pestpogrom fordert zahlreiche jüdische Opfer (Juden wurden vorgeworfen, das Grundwass verunreinigt zu haben)
1352 Wiederzulassung von Juden in Speyer
- Jh. Mehrfache Vertreibungen und Wiederzulassungen führen zum Niedergang der Jüdische Gemeinde
1529 Untergang der Jüdischen Gemeinde von Speyer und Ritualbad Teil des reichsstädtischen Arsenals
Da das Tauchbad das erste nördlich der Alpen war fand diese Bauart Nacharmer. Das Speyerer Ritualbad, sowie generell im Rheinland und den angrenzenden Regionen, wurden im Mittelalter als Grundwassermikwe gebaut. So konnte ein natürlicher Austausch des Wassers erfolgen. Der Wasserspiegel liegt im Durchschnitt etwa 10 Meter unter dem mittelalterlichen Bodenniveau. Der Zugang zum Treppenschacht erfolgt über ein steinernes Treppenhaus. Ein um die Jahrhundertwende errichtete Ganz Glasdachkonstruktion schützt die Anlage vor Witterungseinflüssen.
Die 12 Stufen der Außentreppe zum Eingangsportal sind mit einem frühbarocken Profil versehen, d.h. eine halbrunde Vorderkante von 7 cm Höhe und einem darunter liegendem Absatz von 1,5 cm. Das Steigungsverhältnis liegt im mittel bei 20/30 cm. Die Treppenbreite ist 2,40 m.
Der Treppenabgang mit dem Rundbogenportal |
Der zweite Treppenlauf besteht ebenfalls aus 12 Stufen mit einem sehr ungleichen Steigungsverhältnis, was auf Treppenläufe aus der Ursprungszeit hindeutet (Ende 12. Jh. bis Anfang 13. Jh.). Es folgt ein weiteres Eingangsportal mit einem Türanschlag der als Warteraum dient wenn das Bad benutzt wird. Rechts und links sind Sitzbänke in die Mauer integriert.
Das zweite Portal mit seitlichenWartebänken davor |
Nach dem Portal erreicht man nach weiteren acht Stufen den Vorraum, links angeschlossen ist ein kleiner Umkleideraum mit Sitzbank. Eine weitere Sitzgelegenheit ist vor den Fenstern zum Badeschacht.
Der Vorraum hat eine Länge von 350 cm, Breite 240 cm |
Rechts hinter dem Halbkreisbogen führt eine gewundene Treppe mit 16 Stufen in den Badeschacht. Die Treppenbreite misst 90 cm, das Steigungsverhältnis in der Stufenmitte beträgt 24/40 cm. Die Formgebung dieses Raumes deutet darauf hin, dass die Handwerker auch am romanischen Dom von Speyer gearbeitet hatten, der kurz zuvor fertig gestellt wurde. Der Kapitellschmuck der Ecksäule zeigt gleiche Formen wie im Dom, auch den dreifache Halsring der Säulen.
Der Badeschacht hat die Außenmaße von 350 cm x 350 cm. Acht Stufen führen auf den Wassergrund. Je nach Wasserstand mussten die Menschen knien oder standen im Wasser, so dass der ganze Körper untertauchen konnte. Dieser Vorgang musste zweimal wiederholt werden.
Im Wasser spiegelt sich die Oberlichtöffnung.
Das Tauchbecken mit ca. 70 cm Wasserstand z.Z. der Aufnahme Mitte Juli 2017 |
Seit dem 16. Jh. wurden diese Räumlichkeiten als städtisches Waffenlager genutzt, somit waren die Mauern vor dem Verfall geschützt.
Im Spätmittelalter war die Errichtung monumentaler Anlagen nicht mehr möglich oder nötig. Im städtischen und vor allem im ländlichen Bereich wurden relativ bescheidene Ritualbäder meist von wohltätigen Gemeindemitgliedern in Kellerräumen eingerichtet.
B: Schacht mit Tauchbecken – I: Inschriftennische – S: Sitzbank T: Treppenanlage – U: Umkleidenische – V: Vorraum |
Die nach 1945 in Deutschland errichteten Ritualbäder befinden sich meist innerhalb der Synagogenkomplexe.
Mikwe in Worms
Seit der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts siedelten sich Juden als Fernhändler in Worms an. Ihr Lebensmittelpunkt befand sich in der heutigen Judengasse deren Häuser sich an die Stadtmauer lehnten, und in der Hinteren Judengasse. 1034 wurde die erste Synagoge errichtet. Stifter war Jakob ben David und seine Ehefrau Rahel.
Um die gleiche Zeit legte man außerhalb der Stadtmauer einen Friedhof (Heiliger Sand) an, der bis 1911 durchgehend belegt wurde und heute der älteste jüdische Friedhof in Europa ist.
Der Grundriss der Mikwe, Nr.5 ist das Tauchbecken |
1185/1186 stiftete ein Mann namens Joseph eine sieben Meter Tiefe zum Grundwasser führende Mikwe. Das Bad wurde dem Speyerer Bad nachempfunden. Zur Mikwe gehört auch ein oberirdisches Badehaus, das der körperlichen Reinigung vor Betreten der Mikwe diente und dessen Ruine im 19. Jh. abgebrochen wurde. Die Mikwe wurde wie die Synagoge von Handwerkern der Wormser Dombauhütte erbaut.
Der Treppenabgang zur Mikwe |
Der Vorraum: links Umkleideraum, hinter den Rundbogenfenstern ist das Gerüst für Restaurierungsarbeiten zu erkennen, die sich einige Jahre hinziehen werden
Mikwe in Friedberg
Burg und Stadt Friedberg wurden um 1170 gegründet. Wahrscheinlich erhielt die Stadt zu diesem Zeitpunkt vom Kaiser das Recht, Juden aufzunehmen. Das war wichtig für diese Stadt, weil viele Fernhandelsprodukte von jüdischen Händlern geliefert wurden. Da es im Mittelalter kein einheitliches Recht für Städte, Gemeinden oder Individuen gab, regelten Könige oder Kaiser rechtliche Verhältnisse über die Erteilung von Privilegien. Friedberg war im Mittelalter eine bedeutende Messestadt. Auf Messen kamen viele Menschen aus verschiedenen Gegenden zusammen, um Kauf- und Tauschgeschäfte abzuwickeln. Deshalb war es wichtig, dass die Messebesucher in der Stadt fremde Währungen einwechseln konnten. Viele jüdische Händler waren nicht nur im Kauf- und Tauschhandel tätig, sondern auch im Geld- und Wechselgeschäften.
Erstmals erwähnt wurden die Friedberger Juden 1241 in einer kaiserlichen Steuerliste, in der auch die Region der Wetterau erfasst war. Darin wurde für die Juden der Wetterauer Reichsstädte und für kleinere Gemeinden in der Wetterau der jährliche Steuersatz festgelegt. Wahrscheinlich hat es schon in dieser frühen Zeit in Friedberg eine jüdische Gemeinde mit Synagoge und einem Friedhof gegeben.
Im Jahre 1258 reiste der jüdische Handelsmann Isaak ben Nathan aus Koblenz in die Freie Reichsstadt Friedberg zum Frühjahrsmarkt, dieser war der ausschlaggebendste im ganzen Land. Beim überqueren eines Flusses brach die Bücke, Friedberger Bürger kamen zu Hilfe und retten ihn vorm ertrinken. Aus Dankbarkeit für diese Rettung stiftete er der Friedberger Judengemeinde eine Mikwe.
Der erste Schritt um ein Bad zu errichten ist: ein Wünschelruntengänger durchläuft das Gebiet um die geringste Tiefe
zum Grundwasser zu suchen, diese fand er in der Judengasse 20. Die Bauarbeiten erwiesen sich als schwierig, da Friedberg auf einem Basalthügel liegt. Um an fließendes Wasser zu kommen musste man weit in die Tiefe gehen. Nachdem der Schacht in die Tiefe getrieben worden war, folgten die Arbeiten zur Begehbarmachung des Schachtes. Die technisch versierten Baumeister und Steinmetze, die an der Stadtkirche tätig waren, konnten das Problem lösen. Es ist anzunehmen, dass im Jahre 1260 mit dem Bau begonnen wurde.
Dieses brunnenartige Bauwerk ist in quadratischer Form auf 5×5 m errichtet, wobei die Treppenbreite 1 m beträgt. Das Treppenauge mißt 3 x 3 m. Die Tiefe betrug zur Bauzeit ca. 25 m, im Juni 1900 betrug der Wasserstand 1,55 m und im Januar 1901 4,37 m. Bei meinem Besuch Juni 2016 lag der Wasserstand bei ca. 2,80 m. Die Wassertemperatur lag bei etwa 10 Grad.
Spitzbogige Nischen wurden in der Frühgotik angewandt |
Die Mauern zwischen den einzelnen Treppen haben spitzbogig überwölbte Nischen. Diese wie auch die Säulen und Konsolen lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, dass wir es hier mit einem Bauwerk zu tun haben, welches noch dem Kreis der frühgotischen Kunst angehört. Die aus Sandstein hergestellten Rundsäulen haben zum größten Teil mit Laubwerk verzierte Kelchkapitelle und Platten, deren Profile sich aus scharfen gotischen Schrägen und noch romanisch geschnittenen Hohlkehlen und Wulsten zusammensetzen. Die Basen bestehen aus einem umgekehrten Würfelkapitell und zwei flachen Wülsten (Tellerbasen). Die Errichtung dieses Bauwerkes dürfte in die
Im 18. Jh. wurde das erste Holzgeländer angebracht. Z.Z. Befindet sich ein Eisengeländer auf der Treppenfreiseite |
Eingangspforte zum Bad |
Zeit der ersten Bauperiode der Stadtkirche (Unserer lieben Frau) fallen. Da Juden das Handwerk der Steinmetze nicht erlaubt war, beauftragten die Vertreter der Jüdischen Gemeinde christliche Steinmetze, die auch an der Kirche arbeiteten.
Im späten 12. Jh. wurde an der Stelle der heutigen Stadtkirche eine romanische Basilika errichtet. Da Mitte des 13. Jh. die Stadt ein wirtschaftlichen Aufschwung erlebte, wurde das Gotteshaus zwischen 1260 bis 1410 in eine gotische Hallenkirche umgebaut.
Drei der Blattkapitelle der Säulen in der Mikwe mit verschiedener Ausprägung:
Auffallend ist eine übereinstimmende Gliederung und Ornamentik der Architekturteile der Mikwe mit den Ausschmückungen im Chor der Friedberger Liebfrauenkirche.
Auch die Konstruktion der Anlage, die spitzbogigen Nischen, das kleine Portal mit seinem frühgotischen Charakter, das Quadermauerwerk incl. sonstiger Sandsteinwerke wurden aus dem gleichen Baumaterial hergestellt.
Die Treppenanlage ist nach einem Ritual errichtet:
11 Stufen hat ein Treppenlauf, und entsprach der Anzahl der Monate des ehemaligen jüdischen Kalenders.
Mikwe in Offenburg
Bei der Offenburger Mikwe handelt es sich um das älteste jüdische Bauwerk Südbadens. Kunsthistoriker vermuten, dass der Kreuzrippenstein aus der ersten Hälfte des 14. Jh. stammt. Diese Datierung passt gut in die Geschichte der Jüdischen Gemeinden am Oberrhein, wie sie bis heute bekannt ist. Bis zum 9. Jh. standen die Juden allein unter dem Schutz der fränkischen Herrscher. Später übernahmen in den Bischofsstädten die geistlichen Herren diese Funktion. Gesicherte Niederschriften über jüdische Siedlungen im Elsaß und vor allem in Straßburg gibt es erst aus dem Jahr 1146; über Offenburg existieren aus dieser Zeit keine schriftlichen Quellen.
Größeren Anfeindungen waren die Juden seit Beginn des ersten Kreuzzuges im Jahre 1096 ausgesetzt. Im August 1182 vertrieb Philipp II. sie aus Frankreich. Ein Großteil von ihnen flüchtete in das Rheingebiet, wo sie eine neue Heimat fanden. Spätestens in der ersten Hälfte des 13. Jh. bildete sich in Offenburg eine Judengemeinde, in einer Zeit also, in der Kaiser Friedrich II. diese nicht nur aus religiöser Toleranz förderte, sondern auch, weil mit ihnen der Handel aufblühte. Danach nahmen die Feindseligkeiten gegen Juden wieder zu und erreichten am Oberrheingebiet ihren Höhepunkt nach der Pestepedemie von 1349. Allein in Straßburg verbrannte man 2000 Juden auf ihrem Friedhof.
Im 16. Jh. gab es in Offenburg keine Juden, wie aus den zeitgenössischen städtischen Ratsprotokollen hervorgeht. Erst während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648), als die Ortenau Kampfgebiet wurde, gelang es einigen Juden, in der Reichsstadt gegen Zahlung eines Schutz- und Schmiergeldes Aufnahme zu finden. Immer häufiger geben nun die Stadtratsprotokolle Hinweis auf eine jüdische Ansiedlung. Meist ging es um Beschwerden der Bürgerschaft, die den Juden keine Möglichkeit zum Handel lassen wollte oder um Fragen der Gleichberechtigung. Diese wurde erst 1806 mit dem Übergang Offenburgs an Baden und der Einführung badischer Gesetze zugestanden. Wenn sie der jüdischen Minderheit auch noch keine volle bürgerliche Gleichstellung einräumten, so gewährten sie ihr doch zumindest Anteil am Leben des Staates. Im Jahre 1808 begann die Schulpflicht für jüdische Kinder. Ebenso sah der badische Staat die Erlernung eines bürgerlichen Berufes und den Zugang zu allen Gewerben vor. Die volle Gleichberechtigung wurde erst im Jahre 1862 mit der Einführung des Gemeindebürgerrechts erreicht.
Das Judenbad befindet sich im Keller des Hauses von Karl Schimpf, Glaserstr. Nr. 6, 1793 durch Matth. Fuchs erbaut.
Herr G. Armbruster fertigte 1882 nach einem Aufmaß eine maßstäbliche Zeichnung an und beschreibt: Vom Keller des Wohnhauses tritt man durch ein 1,17 m hohes rundbogiges Eingangstor mit sauber behauenem Quadergewände in den nach unten führenden tonnengewölbten Treppengang mit 36 Stufen, der bis zur 19. Stufe ca. 2 m hoch und 1,23 m breit ist; dann verengert er sich auf 1,70 m Höhe und 1 m Breite und endlich führt, nach Aufhören der Treppe, ein 3,37 m langer Gang, zu dessen Seiten je eine rundbogige und eine Nische mit geradem Sturz angebracht sind, zu einer rundbogigen Tür von ähnlicher Behandlung wie oben. Die erwähnten Nischen wurden nach Ansicht Armbrusters später zugemauert.
Durch dieses Tor betritt man einen quadratischen Raum, der noch etwa 2,20 m tiefer ausgemauert ist als der, aus gewachsener Erde bestehende Fußboden. In der Mitte des Raumes ein kreisrundes 1,30 m im Durchmesser weites und ca. 2,20 m tiefes Bassin zur Aufnahme des Grundwassers, das meist bis zu 2 m hoch in demselben steht. Nicht ganz ½ m über dem Erdboden sind an der einen Seite zwei Konsolen angebracht, wohl zum Auflager einer Sitzbank. Der quadratische Schacht, mit tadelloser Quaderausmauerung, ist vom Fußboden aus ca. 4,5 m hoch, oben mit einer Platte abgeschlossen, die von vier frei herausgearbeiteten, kantigen Rippen getragen, welche sich in einem runden Steinring vereinigen. Darüber folgt der etwa 7 m hohe kreisrunde engere, ebenfalls in roten Sandsteinquadern ausgemauerte Schacht, welcher an der Erdoberfläche in einem runden Steinring endet.
Zweifelsfrei handelt es sich um ein Judenbad. Es schien Vorschrift gewesen zu sein, dass Jüdinnen zu geregelten Zeiten badeten, und zwar nicht in gepumptem oder beigetragenem, sondern ins Becken geflossenen Wasser.
Sollte kein Bach zur Verfügung stehen, oder es aufgrund enger Gassen oder Bebauung der jüdischen Wohnviertel nicht möglich gewesen sein die rituelle Reinigung in fliesendem Wasser durchführen, scheint man Grundwasser benutzt zu haben.
Prinzipiell die gleiche Anlage wie hier findet sich in Speyer, nur architektonisch reicher ausgestaltet, Während noch die bestehenden Judenbäder meist nicht diese komplizierte unterirdische Anlage aufweist.
Während das Speyer Bad wohl dem Ende des 12. Jh. oder Anfang des 13. Jh. zugeordnet werden kann, scheint mir die Offenburger Mikwe aufgrund der frühgotischen Konsolen, Kreuzrippen, der durchgehenden Verwendung des Rundbogens, eher zum Ende des 13. Jh. gehören-also etwa 50 bis 60 Jahre vor der definitiven Judenaustreibung.
Zeichnung: Offenburg im April 1882,G Armbruster
In Rahmen einer Exkursion unserer Gesellschaft am 13.9.1987 zählten wir insgesamt 44 Stufen mit geringfügig unterschiedlichen Steigungen von 18 bis 20 cm und Auftritten von 33 bis 34 cm.
Nach einer aufwendigen Renovierung ist die Mikwe seit April 2017 wieder geöffnet.
In der Bauwirtschaft ist es üblich dass Treppen mit dem Antritt unten beginnen und mit dem Austritt oben enden. Bei einer Mikwe ist der Treppenantritt oben und die Treppe endet unten im Wasser.
Literatur: Wilfried Koch, Baustilkunde 1982
Jean Kerisel, Siebzig Wunderwerke der Architektur 1987
Lexikon der Weltachitekur,Prestel Verlag, München 1992
Friedrich Mielke, Treppender Welt, Scalalogia Band XX 2011
Friedrich Mielke, Sclalogia II 1986
Falk Krebs, Darmstadt
Wikipedia
Verfasser: Wolfgang Diehl 2015
Literatur: Mikwe
Veröffentlicht von Karl Dieffenbach in » Denkmäler der deutschen Baukunst, herausg. vom hess. Verein für Aufnahme mittelalterliche Kunstwerke. Darmstadt 1856 «
Das Judenbad in Friedberg, Monica Kingteen, Verlag der Buchhandlung Bindernagel, Friedberg (Hessen) 2008
Text, bearbeitet von Max Wingenroth, Verlag von J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen 1908
Touristen- Information der Stadt Worms
Das Alte Testament, nach dem 1912 vom Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß genehmigten Text
Die Kunstdenkmäler Rheinland- Pfalz, Max Wingenroth, Tübingen, Verlag von J. C. B. Mohr 1908
Tourist-Info der Stadt Speyer
Wetterauer Geschichtsblätter 56/2007, Monika Kingreen + Lutz Schneider, Druckerei Bingel GmbH, Rockenberg