Expressionismus ~ 1920 – 1930

Expressionistische Architektur entwickelte sich nach dem Ersten Weltkrieg fast ausschließlich in Deutschland. Nach den politischen und sozialen Umwälzungen infolge des 1.Weltkriegs, sieht sich die Architektur im wesentlichen mit zwei Problemen konfrontiert. Zum einen geht es um die Linderung der Wohnungsnot bei knappen öffentlichen Kassen, zum anderen um das angemessene stilistische Vokabular als Ausdruck einer veränderten Zeit. Das historisierende Bauen der wilhelminischen Ära kommt nicht mehr in Betracht, denn es fehlen nicht nur die Gelder für Repräsentationsbauten sondern auch die sozialen Grundlagen zu deren Verständnis.

Viele Architekten waren seit 1907 im Deutschen Werkbund aktiv und vom Jugendstil geprägt, die meisten wandten sich später dem Neuen Bauen zu. Ein besonderer Modetrent des in Norddeutschland verbreiteten Backsteinexpressionismus setzte sich auch in den südlichen Bundesländern durch. Die Architekten, die den expressionistischen Formen nahestanden, nutzten die runden und gezackte Formen als Kunstwerke in ihrem handwerklichen Bauverfahren.

Farbwerke Hoechst AG, vormals Meister Lucius & Brüning

Das Farbenwerk in Hoechst bei Frankfurt am Main wurde 1863 gegründet. 1920 beauftragte die Verwaltung, Peter Behrens ein Technisches Verwaltungsgebäude zu errichten.

Peter Behrens (1868-1940) studierte Malerei an Kunstakademie in verschiedenen deutschen Städten. Sehr bald schloss er sich der Jugendstielbewegung der Künstler um Henry van de Velde in Weimar an und beschäftigte sich u.a. mit kunsthandwerkliche Arbeiten. Aber nicht nur als Maler, Architekt, Typograph und Grafiker, sondern besonders als Industriedesigner wurde Behrens international bekannt.

1900 berief Großherzog Ernst Ludwig von Hessen Behrens an die neu gegründete Darmstäter  Jugendstiel – Künstlerkolonie. Der Großherzog erlaubte den Künstlern eigene Häuser zu  entwerfen und zu bauen. Somit war der Schritt zum Universalkünstler getan, der die verschiedenen Disziplinen der bildenden Kunst mit den avantgardistischen Tendenzen zu verbinden wusste.

In den Hoechster Werken wurden Farben in mehreren zehntausend Farbnuancen hergestellt.

Auch Paul Klee, Dozent am Bauhaus Weimar und Dessau, bekleidete als Farbdesinger das Bauwerk von Beginn an.

Die Räume im Verwaltungsgebäude sind in  verschiedensten Farbnuancen, die sich nicht wiederholen, gehalten. Treppenstufen sind mit hellen und dunklen Ziegel in geometrischem Muster belegt. Die dunklen Ziegel, die an der Wandseite über den Stufen als Sockel dienen, sind in einem Farbton angelegt der entsteht, wie Ziegel nach dem Putzen mit verschmutzten Putztüchern aussehen können.

IG Farben Lichthof

IG Farben Treppe

Die Kuppelhalle und Treppenaufgang in dem Verwaltungsgebäude

Literatur: Architektur Baukunst Skulptur, der Behrensbau im Industriepark Höchst

Herausgeber: Infraserv GmbH & Co. Höchst KG. Frankfurt am Main

Architekturführer Frankfurt am Main, 1. Auflage 1992

Verfasser: Wolfgang Diehl

 

Chilehaus, Hamburg

Das Chilehaus ist als Kontorhaus (Bürohaus) 1922-1924 gebaut worden. Es ist eines der ersten Hauptwerke der expressionistischen Architektur in Deutschland. Mit einer Grundfläche von knapp 6.000 m²  und den 10 Stockwerken ist es das erste Hochhaus in Hamburg.

Juli 2015 wurde die Hamburger Speicherstadt, das Kontorhausviertel mit dem Chilehaus zum UNESCO Weltkulturerbe ernannt

Mehrere Entwürfe waren nötig, bis das Bauwerk dem Bauherrn Sloman entsprach. Da das Gebäude Nähe der Elbe am Zollkanal auf instabilem Untergrund gebaut werden sollte, mussten Eisenbetonpfähle mit einer Gesamtlänge von 18.000 m eingebracht werden.

Die frühere Haupteinfahrt zum Innenhof. Mit 36 000 m² Geschoßfläche und 2 800 Fenster war es zu dieser Zeit eines der größten Bürogebäude Hamburgs. Geschickt hatte der Architekt in den oberen Stockwerken Staffelgeschosse eingeplant und vermied so einen gewissen    „Hochhauseffekt“.

Der Bauherr Henry Brarens Sloman verdiente sein Geld mit dem Salpeterhandel aus Chiles Minen. Nach 32 Jahren kehrte 1898 nach Hamburg zurück. 1912 betrug sein Vermögen 60 Millionen Mark und war der reichste Bürger Hamburgers.

Die Ostseite des Gebäudes erinnert an ein Schiffsbug. Der spitze Winkel und die gekurvten Seiten haben sich durch die unregelmäßigen Grundstücke ergeben.

Der Baumeister und Architekt hatte viel Erfahrung mit dem Baustoff Ziegel und Klinker gesammelt.

Klinker sind aufgrund der höheren Brenntemperaturen im Gegensatz zu Ziegel frostbeständig und bedürfen keiner weiteren Behandlung. An der Außenfassade verwendete er eine Art Ausschußklinker, die normalerweise für minderwertige Bauten verwendet wurden, die aber eine sehr ausgeprägte Oberflächenstruktur  mit einer starken Gliederung des Baukörpers im Stil des Art Déco darstellen. Durch ein Formenspiel mit den Steinen erzeugte er eine gewisse Lebendigkeit an der Fassade.

Der Treppenaufgang zum 1. OG

Bauherr:            Henry Brarens Sloman (1848-1931)

Architekt:          Fritz Höger (1877-1949)

Baukosten:        ca. 10 Millionen Reichsmark

Bauzeit:            1922 – 1924

Treppen-Typ:   dreiarmige Treppe mit Zwischenpodest

Treppenbreite:  Antrittsarm 310 cm, Austrittsarm 161 cm

Treppenbelag:  Linoleum

Stufenkante:     Eisenwinkel 50 x 50 mm

Steigung:          18,5 cm

Auftritt:             27,5 cm

Handlauf:          einseitig gekehlt, Hartholz, farblich angelegt

Geländerstäbe: Eisenwinkel 25 x 25 mm

Treppenunterkonstruktion: Eisenbeton

Das Treppenauge rechts und links neben dem Antrittsarm, Ansicht von oben und unten

Die Treppe im ersten Staffelgeschoß ist breiter und das Stockwerk ist um 25cm höhe. Es ist anzunehmen das in diesem Geschoß die Geschäftsleitung ihren Sitz hatte

 

Mousonturm, Frankfurt am Main Waldschmidtstr.4

1798 gründete August Friedrich Mouson eine Seifen- und Parfümfarbrik in Frankfurt am Main. Im Zuge der neuen Fabrikanlage auf dem Werksgelände entstand der in  expressionistischen Klinkerfassade gestaltet Treppenturm in markanter Ecklage. Er überragt das zugehörige sechsgeschossige, in den oberen Ebenen abgetreppte Fabrikgebäude um zwei Geschosse. Hier waren – 1926 die Seifenproduktionsanlagen untergebracht. Im achten Geschoss des Turmes befand sich ein Wasserreservoir. Der Stahlbetonskelettbau erhielt eine Backsteinfassade in expressionistischen Formen und gilt als erstes Hochhaus in Frankfurt am Main.

Bauherr: J.G. Mouson & Cie

Bauzeit: 1921-1926

Architekt: Fritz Mouson mit Josef Geittner und Robert Wollmann

Umbau in das „Künstlerhaus Mousonturm“ 1988

Architekt: Albert Speer & Partner

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Der 33 Meter hohe Turm war das erste Hochhaus in Frankfurt a.M. 1926

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Die Treppenanlage in Betonbauweise ist mit Holmen, wie wir sie in der Holzbauweise kennen ausgeführt, im Treppenauge ist ein Aufzug eingebaut worden

 

Kath. St. Bonifatius-Kirche, Frankfurt-Sachenhausen

Sachsenhausen liegt auf der linken Mainseite und gehört seit seiner Gründung zu Frankfurt am Main. Durch die Reformation wurde Frankfurt überwiegend evangelisch. Durch Zuwanderungen im 19. Jhd. wurde eine Kirche erforderlich. Bei einem Architekturwettbewerb siegte der Frankfurter Architekt Martin Weber(1890-1941), der später noch für fünf weitere Kirchenbauten die Pläne erstellte.

Die St. Bonifatius – Kirche gilt als erster katholischer Kirchenbau der Moderne in Frankfurt am Main. Grundsteinlegung war am 27. Juni 1926 und die Weihe fand am 7.August 1927 statt.

Das Gebäude besteht aus einer Eisenbetonkonstruktion, die mit Klinker in  expressionistischer  Bauart und mit Bezug zur norddeutschen Backsteingotik gebaut wurde. Die Spitzbögen, die bereits auf Fußbodenniveau beginnen, führen zum Hallendach und ergeben ein tonnenförmiges Gewölbe. Der Altarraum mit dem Sechseckturm im Eingangsbereich und der darüber stehenden Orgel sind gut integriert.  Der Turm bildet die höchste Erhebung über dem feierlich ausgestalteten Chor. Um diesen Raumeindruck nicht zu stören verlegte, der Architekt den Eingangsbereich an die östliche Gebäudeseite – versehen mit einer großen Freitreppe.

Die bis dahin ungewöhnliche Eisenbetonkonstruktion der Kirche und der Klinkerverblendung der Fassade löste heftige öffentliche Diskussionen über den Gebrauch „würdiger“ und „unwürdiger“ Materialien beim Bau einen Gotteshauses aus.

Bei der Umgestaltung der Kirche zur Jugendkirche wurden die vormaligen Bänke durch eine mobile Bestuhlung ersetzt. Auch wurde ein zweiter Altar in der Mitte errichtet, um den die Stühle bei Gottesdiensten für die Jugend kreisförmig aufgestellt werden.

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Die Eingangsfront mit seitlich angebauten Gemeindehaus

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Innenansicht des Chores mit dem Mittig stehenden Altar für Jugendgottesdienste

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Der erhöhte Altar

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Der Treppenaufgang zur Orgel in Eisenbetonbauweise

Evangelische Friedenskirche, Frankfurt-Gallus

Die Kirche ist ein Zweitbau einer zuvor an gleicher Stelle in Fachwerk errichteten Notkirche,  die ihren Namen vom Friedensschluss 1871 herleitete.

Ein 1923 ausgeführten Architekturwettbewerb erhielt der zweite Preisträger Karl Blatter den Zuschlag und wurde mit der Ausführung beauftragt.  1925 wurde mit dem Bau der Friedenskirche begonnen und 1929 eingeweiht.

Die monumentale Turmwand mit Vorbau und zwei Türmen gibt der Kirche einen archaisch-sakrale Charakter, der seinerzeit gerne angestrebt wurde. Die Klinkerbauweise bestimmt die Architektur der Friedenskirche und führt zu dem ausdrucksstarken, expressionistischen Erscheinungsbild.

Im Innenraum beeindrucken der wuchtige Altarblock und die bronzene Christusskulptur in der flachen spitzbogigen Altarnische. Durch die in den seitlichen Nischen eingebauten Fenster dringt diffuses Licht in den Kirchenraum. Die künstliche Beleuchtung wurde in diesem Jahrzehnt installiert.

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Die Front mit der Kirchenhalle und dem seitlichen Kindergarten

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Der Innenraum der Friedenskirche

IG-Farben-Hochhaus, Frankfurt am Main

Das Hauptverwaltungsgebäude der I.G. Farben AG, ist ein Zusammenschluss der Zentralen Verwaltung der Chemiekonzerne (mit der heutigen Bezeichnung Agfa, BASF, Bayer, Dynamit Nobel, Höchst u.a.) Der Berliner Architekt Hans Poelzig erhielt den Auftrag Mitten im großbürgerlichen Frankfurter Westend auf parkähnlichen Gelände das Gebäude zu errichten, das auf einer leichten Anhöhe das Symbol der Macht des Konzerns wieder geben soll. Trotz der 230 Meter langen Fassade verhindert der Architekt Gigantismus, in dem er mittels einer konkaven Krümmung des Gesamtbaus starre Fronten vermeidet. Die sechs radial stehende Querbauten stehen für 6 Sparten des Unternehmens.

Das tragende Element des Gebäudes ist eine mit Travertinplatten verkleidet Stahlskelettkonstruktion. Das Gebäude gilt in Fachkreisen als vorbildliches Beispiel der Modernen Architektur expressionistischer Ausrichtung. Das Gebäude ist nach einer rein funktionalen Prägung ausgerichtet. Keinerlei Ornamente unterbrechen die Gleichförmigkeit, sowie es sich die Verfechter des Bauhauses vorstellen. In einer seiner Aufsätze von Adolf Loos mit der Überschrift „Ornament und Verbrechen“ ist zu lesen: Ornamente sind „vergeudete Arbeitskraft und damit vergeudetes Kapital“.

In den 1930er Jahren arbeiteten bis zu 36.000 Menschen in diesem Gebäude. Nach dem 2.Weltkrieg diente das Gebäude der amerikanischen Besatzungsstreitkräfte als Hautverwaltung, nach deren Abzug in den 1990er Jahren wurde es zur Universität Umgebaut.

Architekt: Hans Poelzig (1869-1936)

Bauzeit:1928-31

Umbau: 2001

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Das I.G.-Hochhaus galt und gilt als vorbildliches Beispiel der modernen Achitektur expressionistischer Ausrichtung.

Süd-Fassade  des jetzigen Poelzig-Bau der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a.M.

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Eingangshalle mit den Aufgängen zur 1. Etage und dem mittigen Durchgang zum Casino

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Die noch in Betrieb befindlichen Paternoster

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Treppenaufgänge in den Querbauten

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Fluchttreppen in den Querbauten, von 2001

Literatur:

Architekturführer Frankfurt am Main 2002

Denkmaltopographie, Denkmalamt der Stadt Frankfurt am Main 1994

Kaiserpfalz und Wolkenkratzer-Kunst in Hessen, Renate Liebenwein, Königstein 2000

 

Verfasser: Wolfgang Diehl 2016