Aufmaß einer über 300 Jahre alten Treppe

Es handelte sich um die Spindel-treppe im Gebäude Brauhausstraße 6 in Taucha (Sachsen), die über 2 Stockwerke gebaut wurde.

Treppenantritt

Treppenantritt

Leider ist nicht viel über das Haus bekannt. In einem Geländerpfosten der Treppe ist die Jahreszahl 1684 eingestemmt und in zwei anderen die Initialen „DA“. Es kann angenommen werden, daß der Bauherr ein Geschäftsmann war. Hierfür spricht, daß in diesem Haus große Lagerflächen unter dem Dach und im Keller vorhanden sind, und die Lage des Gebäudes an der Hauptstraße in Taucha, die auch die Ver¬bindung zwischen Leipzig und Torgau darstellt. Die Fassade ist im strengen Barockstil dekoriert.

Die Stufen der wandfreien Seite sind in eine Wange eingefaßt, die restli-chen im Mauerwerk eingelassen.

Die Spindel der aus Eichenholz bestehenden Treppe ist sehr exakt und präzise hergestellt worden. Der Außendurchmesser beträgt 30 cm und ist über eine Länge von 7,22 m schnurgerade. Das Herz ist mit einem 60 mm dicken Bohrer ausgebohrt worden.

Die Oberseiten sind einigermaßen sauber abgerichtet und die Distanzkerben sind gewissenhaft hergestellt worden. Dagegen wurde der Gleichmäßigkeit der Stufen weniger Aufmerksamkeit geschenkt, sie schwanken zwischen 4,8 cm und 6,4 cm.

Das Auflager der Stufen in der Spindel besteht aus einer Kerbe mit einer Tiefe von ca. 3,2 cm an der tiefsten Stelle. Mit 1-2 Eisennägeln sind die Stufen befestigt.

Antrittspfosten - Säulenschnitt

Antrittspfosten – Säulenschnitt

Am von mir festgelegten Zirkelschlag beträgt der Auftritt 28-33 cm. Die Setzstufen weisen eine Dicke von 1,6 cm auf und sind ca. 5 cm in die Spindel eingestemmt.

Die Baluster der Geländer sind in ihren Profilen sauber gearbeitet. Ein Treppenbauer (Zimmermann) besitzt kaum die Fähigkeit, Baluster, Antrittspfosten und Spindel mit dieser Exaktheit zu fertigen. Allerdings hätten die Zimmerleute die Stufen mit Zapfen versehen und mit Holznägeln gesichert und eine durchgängige Außenwange erstellt in die man die Stufen eingestemmt hätte.

 

Schnitt Säule - Stufe

Schnitt Säule – Stufe

Die Herren Dr. Jürgen Hoffmann, Ralph Kolbe, Silvio Scheffler und der Verfasser sind Mitglieder der Gesellschaft für Treppenforschung e.V. Wir setzen uns zur Aufgabe, die Steigespur und den Abrieb des Holzes unter Berücksichtigung der Lager der Jahresringe in den Stufen zu untersuchen.

Die Treppe lag zerlegt in der Werk-statt von Zimmermeister Kolbe aus Liebertwolkwitz der mit der Aufarbeitung der Treppe betraut wurde. Gemessen wurde nach dem von Prof. Mielke aufgestellten Theorie, indem wir eine Richtlatte über die Stufenvorderkante legten, um Anfang und Ende des ausgetretenen Bereiches zu erkennen. Dies ist auf der Zeichnung mit einem Strich markiert. Insgesamt fanden wir drei tiefe Punkte.

Steigelinie

Steigelinie

Die abriebstärkste Stelle lag an der Stufenvorderkante. Um eine einheitliche Auswertung zu bekommen, maßen wir 1,8 cm hinter der Vorderkante. Die anderen zwei Punkte waren Mulden, die zwischen 9 cm und 13 cm hinter der Vorderkante und 15 cm – 25 cm weit auseinander lagen.

Die Zahlen in der Grundrißzeichnung zeigen die mm-Tiefe an der Stelle des Punktes. Damit ist ablesbar, welche Stellen von den Menschen am häufigsten genutzt wurden. Leider hatte Herr Kolbe schon die erste Stufe aufgesohlt, so daß der tiefste Punkt nicht mehr heraus-zufinden war.

Bei der Untersuchung der Steigelinie stellten wir fest, daß auch bei dieser Treppe die Benutzer sich nicht an eine theoretische, in Laufmitte angenommene Lauflinie hielten, wie es fast immer bei Treppen zu sehen ist.

Viele Faktoren haben einen Einfluß darauf, an welcher Stelle ein Benut-zer die Treppe besteigt. Oft wird eine Orientierung zur Wand gesucht, was an der äußeren Steigespur erkennbar ist.

Untersuchungen (des Verfassers) haben ergeben, daß etwa 25% der Treppenbenutzer die Nähe des Handlaufes bevorzugen.

Schnitt12aUnsere zweite Aufgabe war es, bei dieser 310 Jahre alten Treppe festzustellen, ob die linke oder rechte Brettseite widerstandsfähiger gegen Abrieb ist.

Die rechte Brettseite ist die der Stammitte zugekehrte Seite, die linke Brettseite zeit zum Äußeren des Stammes.

Wir stellten fest, daß die Erbauer dieser Treppe möglichst breite Bohlen verarbeiteten, um keine oder nur kurze Leimfugen zu bekommen.

Sie verwendeten vermutlich Holz von verschiedenen Stämmen. Das meiste Holz war sehr grobfaserig mit weiten Jahresringen und vielen Ästen. Es ist davon auszugehen, daß es sich um einzeln stehende schnellwüchsige Bäume aus dem nahegelegenen Sumpfgebiet handelte. Wir rekonstruierten anhand der Stufenmaserung den Stammquerschnitt und einigten uns darauf, daß aus einem Stamm vier Bohlen geschnitten werden konnten.

 

Um den absoluten Abrieb festzustellen, müßte die Stufe im Abriebsbereich mit einer Art Spachtelmasse ausgegossen und der Rauminhalt anschließend beispielsweise durch Wiegen ermittelt werden.

In unserer Aufmaßliste nahmen wir die tiefsten Punkte auf, bestimmten die Lager der Stufenbohlen im Stammquerschnitt und klassifizierten die Struktur des Holzes. Die Bohlentypen wurde mit Typ I (Kernbohle) und Typ II (Seitenbohle) gekenn-zeichnet.

An der Übersichtsliste fällt auf, daß das Holz mit Ästen und einem hohen Spiegelanteil dem Abrieb stärker widerstehen, ebenso die Hölzer mit engen Jahresringen.

Aufmaßdaten

Aufmaßdaten

Durch das Altern des Holzes verhärtete sich die Struktur unterstützt durch das stetige Reinigen der Treppe mit Wasser bekam das Holz eine Härte, daß das Abfräsen mit einer Handoberfräse nicht möglich war. Herr Kolbe löste das Problem indem er die Stufen hochkant über die Kreissäge schob und den Rest mit der Hand abstemmte.

 

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Verfasser: Wolfgang Diehl (1992)