Kragstufentreppen

Frei auskragende Stufen

Es sind zwei Konstruktionsweisen zu unterscheiden: direkte Kragstufen und indirekte Kragstufen. Direkte Kragstufen sind am ehesten in historischen Gebäuden zu finden, sie sind einzeln in eine Wandscheibe eingespannt, die Schwerkraft der Wand bildet das Gegengewicht zur Belastung der Stufe, vergleichbar mit dem Balken einer Kinderwippe. Indirekte Kragstufen sind an einer Wandwange befestigt, die wiederum mit einer Wandscheibe verankert sind; die Befestigungsmittel der Wange werden auf Zug und Abscheren beansprucht. Weil es sich um Konstruktionen abseits vom handwerklichen Treppenbau mit seinen Erfahrungswerten handelt, sind einzelfallbezogene statische Berechnungen zu erstellen.

Bald nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sich die Erfahrungen und das Versuchspotenzial der Bauhausbewegung zunehmend durch. Mit Beginn des Wiederaufbaues in den 1950er Jahren wurde viel Neues ausprobiert. Durch Versuche und statischen Berechnungen wurden die Materialien an die Grenzen ihrer Belastbarkeit geführt. Infolge neuer technischer Möglichkeiten konnte auch der Stahl höher vergütet und besser verformt werden.

Durch die gleichmäßige Form der Stufen und ihre formale Strenge entstand gerade bei Wendeltreppen eine puristische Erscheinung, die die Gesamtposition auf das Wesentliche reduzierte. Das „aufgelöste“ Geländer unterstreicht dezent die äußere Form, unter Berücksichtigung der zu dieser Zeit geforderten Sicherheit.

Lindebad, Badenweiler

Wendeltreppe mit indirekten Kragstufen: Der Architekt Horst Linde hat 1957 eine für die damalige Zeit kühne Wendeltreppe aus Stahl entworfen. Die Kragstufen sind allerdings nicht an einer wandseitig befestigten Wange befestigt, sondern an einer Hohlspindel aus einem Kastenprofil.
Durchmesser: 270 cm, Treppenauge: 60 cm, Laufbreite: 90 cm, Innenwange als Hohlspindel-Kastenprofil gefertigt: 22/ 15cm, Stufen Riffelblech, Breite an der Wange: 20 cm, Abkantung: 7 cm.

Entwurf: Professor Horst Linde, Freiburg 1957

Treppe in einem Wintergarten

Wendeltreppe mit indirekten Kragstufen: Die Treppe hat einen Außendurchmesser von 243 cm, das Treppenauge 40 cm. Die Laufbreite beträgt 19 cm, die Wangendicke 6 cm. Die Holzstufen liegen auf V-förmig gebogenem Stahl, der mit den Wangen verschweißt ist.

Der Handlauf auf der Außenseite besteht aus schichtverleimten Holz, die Geländerstäbe in Acrylglas sind paarweise an­geordnet.

Die Treppe entstand 1991 in Bad Vilbel, Hessen

Schnittansicht

Geradläufige Treppe mit indirekten Kragstufen

Die vor der Wand befindlichen Stufen haben den Anschein fast frei zu schweben und könnten den Eindruck von direkten, massiven Kragstufen erwecken. Die Stufenunterkonstruktion besteht jedoch aus Stahlprofilen, die mit einer Wandwange verschweißt und mit Schwerlastdübeln in der Wand aus Beton befestigt sind. Der Stufenkörper besteht aus einem Korpus von Holzwerkstoffplatten, der rundum mit Holz furniert ist. Entgegen dem Anschein handelt es sich also nicht um direkte Kragstufen.

Dieser filigrane Treppentyp entstand Anfang der Jahrhundertwende

 

Stufenunterkonstruktion mit Wandwange

Hohlkörperstufe

Die Flachstahlwange ist in den Putz eingelassen und mit der Wand starr verbunden. Die Konstruktion der Holzstufen besteht aus zwei Mittelstegen sowie einer 16 mm dicken MDF (Mitteldichte Faserplatte) als Außenkante der Stufen. Die Ober- und Unterseite besteht aus 4 mm HDF (Hartdichte Faserplatte). Die Oberseite sowie die Kanten sind mit 5 mm dickem Eiche-Sägefurnier beklebt, die Unterseite mit 1 mm dickem Furnier. Die Hohlstufen sind über die Träger geschoben und ausgeschäumt.

 

Geradläufige Massivholz Treppe mit indirekten Kragstufen

Die Kragstufen bestehen aus Eichenmassivholz, ihre Verankerung in der Wand erfolgte mit Gewindestäben, die in das Holz eingeschnitten, durch die Betonwand geführt und auf der Rückseite gekontert sind. Die Bohrungen in der Wand sind mit Injektionskleber verfüllt. Der Handlauf in in der Betonwand intigriert.

Die Treppe entstand 2011

Stufe mit Gewindestab

Jede Stufe ist mit zwei 20 mm dicken Gewindestäben befestigt. Den Bohrungsdurchmesser für die Gewindestäbe in den Stufen kann man mit dem Faktor 0,8 multipliziert (20×0,8= 16 mm). Es ist auch möglich, mit einer Schieblehre die ”Seele” des Stabes, d.h., den massiven Teil des Stabes zu messen.

Die Tiefe des Bohrloches beträgt 40 cm. Damit sich das Gewinde leichter in das Holz einschneidet, kann etwas Montagekleber hinzugegeben werden.

Eine andere Möglichkeit der Befestigung wäre es, im oberen Bereich der Stufen drei und im unteren zwei Gewindestäbe mit jeweils 16 mm Durchmesser einzusetzen. Diese Gewindestäbe würden in die Wand eingemörtelt, so dass eine starre Verbindung entstünde.

Freistehende Treppe mit indirekten Kragstufen

Die Treppe wurde geplant und gebaut vom Treppenbauer Jürgen Quirin, Frankfurt 2016

Die Treppe in einer Penthousewohnung führt zur Dachterrasse, von der aus die Frankfurter „Skyline“ zu genießen ist.

Das tragende Element der in der Raummitte angebrachten Einholmtreppe besteht aus zwei zusammen- geschweißten Stahlträgern, die gegen Verwinden zusätzlich ausgesteift und mit den die Stufen, wie die Treppe zuvor beschrieben, verbunden sind. Der Träger sind mit Holzwerkstoffplatten ummantelt und mit Eichenholzfurnier. Die Stufen bestehen aus Massivholz.

 

Geradläufige Treppe aus Corian

Das Büro Kadawittfeldarchitektur in Aachen plante diese indirekten Kragstufen und beauftragte 2011 die Firma Ulrich John in Dortmund mit dem Bau dieser Treppe. Die Oberfläche der 150 cm breiten Treppe wurde aus Corian weiß gefertigt. Der Stufenkern besteht aus einem U-Stahlrahmen, der mit Schwerlastdübeln an der aufgehenden Betonwand befestigt ist. Die Corianplatten mit 12 mm Dicke sind über diese Stahlrahmen geschoben und mit ihnen verklebt. Auch die Podeste und der Handlauf bestehen aus diesem Material

Mineralguss von Du Pont

Corian ist eine Mischung aus natürlichen Mineralien und reinem Acrylharz, die vor über 40 Jahren von der Firma Du Pont entwickelt wurde.

Das Material ist durchgefärbt, formbar, stoßfest, immun gegen Chemikalien, porenfrei und daher leicht zu reinigen. In bestimmten Dimensionen gibt es über 100 Farben. Die Haupteinsatzgebiete dieses Materials sind Küchenarbeits- und Waschtischplatten, Küchenspülen, Waschbecken, Wandverkleidungen und Laborarbeitsflächen.

Die Abmessungen der Platten sind wie folgt erhältlich:

4 mm Platte:   930 x 2490 mm

6 mm Platte:   760 x 2490 mm

930 x 2490 mm

12 mm Platte: 760 x 3658 mm

930 x 3658 mm

19 mm Platte: 760 x 3658 mm

Das Material ist fugenlos zu verarbeiten

Geradläufige Treppe mit direkten Kragstufen

Die Treppe befindet sich in einem 235 Jahre alten Bauernhauses, das vom Architekten Giuseppe Caruso zu einem Mehrfamilien Haus umgebaut worden ist. Die Kragenstufen aus Kunststein (Burgunder Kalkstein, gemischt mit Beton) sind in der Wand unmittelbar eingespannt.

Das Bild wurde entnommen von „Treppen“ José Manuel Ordás Barcelona

Geradläufige Außentreppe mit direkten Kragstufen

Ein Ferienhaus in Philadelphia mit auskragenden  Stufen aus Natursteinplatten, die ins Obergeschoß führen. Diese Treppenart findet man auch oft im Alpenbereich.

Geradläufige Treppe mit direkten Kragstufen:

 

Arch. R. Brognard Okie

Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Kunststeinstufen in eine Sichtbetonwand eingespannt

 

Literatur:

Treppen, José Manuel Ordás Barcelona, W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart 2001

Treppen, Franz Schuster, Julius Hoffmann Verlag, Stuttgart 1949

 

Verfasst: Wolfgang Diehl 2016