Gestemmte Treppen

Gestemmte Treppe

Die seit Anfang des 16. Jh. bekannte „gestemmte Treppe“ wurde als üblicherweise gerade Treppe, ggf. mit Podest, in Profanbauten und öffentlich zugänglichen Gebäuden wie Schulen, Rathäuser usw. eingebaut. Das war u.a. auch dem damaligen Stand der Technik geschuldet.

Die ersten Sägemühlen, die mit Wasserkraft angetrieben Baumstämme schneiden konnten, gab es im 14. Jh. Aber noch bis in vorletzte Jahrhundert schnitten Zimmerleute mit einer 2-Mann-Schrot-Säge oder mit der Klobsäge die Stämme. Denn oft war es kostengünstiger, Holz mit dem Breitbeil zu beschlagen, als Kanthölzer oder Bohlen aus dem Sägewerk zu beziehen.

So Zimmerleute genossen in der Bevölkerung ein hohes Ansehen, denn ihre Fähigkeit in der Konstruktion und Holzbearbeitung wurden sehr geschätzt. Nicht nur der Habsburger Kaiser Maximilian I. (1459-1519) erlernte das Zimmerhandwerk, bevor er zum Kaiser gekrönt wurde. Um den Schiffsbau zu erlernen, ließ sich der russische Zar Peter I. der Große (1672-1725) in Holland als Zimmermann anheuern.

Die gestemmte Treppe ist eine Weiterentwicklung der etwas rustikal wirkenden Keilstufentreppe.  Die Dimensionen der Wangen waren anfänglich ca. 10/30 cm, Stufendicke ca. 6 -7 cm. Diese Maße sind der Bearbeitung geschuldet, da die Treppenteile aus beschlagenen Kanthölzern gefertigt wurden. Das Abrichten und Aushobeln wurde von Hand vorgenommen. Als sich technische Möglichkeiten weiterentwickelten und Bohlen durch Schneiden hergestellt werden konnten, verringerte sich die Materialdicke. Zum Beispiel wurden im Bergischen Land Ende des 18. Jh. Tritt- und Setzstufen mit einer Dicke von 27-28 mm hergestellt. In den 1920er Jahren waren Querschnitte von unter 40 mm üblich.

Anfang des 18. Jahrhundert erstellten Baumeister und Handwerker gewendelte Treppen als „Armeleutetreppen“, da in kleinen Häusern oder Unterkünften nicht genügend Platz für eine gerade Treppe zu Verfügung stand. Zu dieser Zeit entwickelt man auch den Krümmling, der meist Bürgerhäuser vorzufinden war. In Amsterdam, das im 17. Jh. zu den reichsten Städten der Welt zählte, entstanden prachtvolle Treppen mit äußerst reichhaltig geschnitzten Geländerfüllungen – wahre Kunstwerke.

Zur Zeit der Postmoderne in den 1970/80er Jahren kehrte dieser Bautyp in einer reichlich schmucküberladenen Ausführung wieder zurück.

Eichenholz rustikal gebeizt war die Traumvorstellung vieler Verbraucher

In der zweiten Hälfte des 20. Jh. hatten die holzverarbeitenden Betriebe ausreichend Erfahrung gewonnen, wie gebogene Wangen hergestellt werden konnten. Furniere waren in allen Dicken zu erwerben und die Industrie stellte die passenden Kleber her mit denen die Furniere verklebt werden konnten.

In den 1990er Jahren stellte die Glasindustrie begehbare Gläser her

Anfang der 1990er Jahren wandelte sich der Geschmack. Begehrte Materialien waren nun naturbelassener und versiegel­ter Stahl.

Nicht nur die Transparenz der Geländerfüllung, sondern auch schwach dimensionierte Wan­gen in Form eines U-Stahles verleihen der Treppe einen Hauch von Schlichtheit und Leichtigkeit.

Die Träger (140 x 5,5 x 7 mm) steht mit der Spitze auf der Podestkante, die auf der Innenseite verstärkt die Last zum Boden führt. Am Treppenaustritt ist der Wangenträger mit dem Deckenbalken verbunden. Für die Stufen wurde  kanadisches Ahornholz 35 mm dick verwendet.

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts waren Leichtigkeit und Transparenz gefragt, für die sich Edelstahl anbot zur Fertigung der Wangen und eine Geländerfüllung mit 3 mm dicken Edelstahlseilen.

Um Seile zwischen die Eckpfosten zu spannen, muss eine lineare Freiwange entstehen. Die Stufen werden dafür so verzogen, dass die Wange schnurgerade verläuft.

Die Stufenhalterung besteht aus 8 mm starkem Flachstahl, der exzen­trisch in die Stufen geschlitzt und mit Madenschrauben gesichert ist. Wangen: Edelstahl 100 x 40 x 2 mm, Geländerpfosten: Edelstahl Rundrohr 42,4 x 2 mm, Stufen: Buchenholz 45 mm, Handlauf  Buchenholz 44 mm.

Die Reduzierung setzte sich Ende des 20. Jahrhunderts weiter fort. In den vorliegenden Fall war die Transparenz der Treppe ausdrücklicher Wunsch der Bauherren, da das Zimmer hinter der Treppe oft genutzt wird. Beim Verlassen des Raumes sollte nicht das Gefühl der Enge durch massive Querschnitte entste­hen.

Die Stufen sind auf eine Dicke von 20 mm verringert. Möglich wird dies, wenn zwei Massivholzplatten mit einer Zwischenlage von Glasfaserplatten und dem passenden Kleber verbunden werden. Auch die Wangen in Edelstahl sind auf 100/20/2 mm verkleinert. Nach ein paar Jahren wurde ein Steigungsgeländer hinzugefügt.

 

Zu Beginn des 21. Jahrhundert kehrte man wieder zur traditionellen gestemmten Holztreppe zurück. Im Volksmund wird diese Treppenart „Trogtreppe“ genannt. Die bis zum Handlauf hochgezogenen Wangen lassen die Treppe, unterstützt durch das rotbraune amerikanische Nussbaumholz, mächtig erscheinen. Die scharfen Kanten, die gefalteten Stufen mit den schräg gestellten Setzstufen und einem Besteckmaß von 2 mm an der Wangenhinterkante spiegeln den Zeitgeist wider.

 

 

Der in Beton gegossene und mit Marmor verkleidete Antrittsblock lässt das dunkelbraune Werk erhaben wirken. Das Brüstungsgeländer wirkt etwas gedrungen, steht aber nicht in Konkurrenz zu der Treppe.

 

Ein Penthaus, das sich über zwei Etagen ausdehnt, sollte nach Vorstellung des Architekten einen Treppenaufgang erhalten, der wie eine hölzerne Skulptur erscheint und beim Betreten des Wohnraumes ins Auge fällt.

So erhielt die äußere Wange ein Besteckmaß von 2 m, senkrecht gemessen über der Stufenkante. Auf der Innenseite hat die Wange Handlaufhöhe. Sie bestehen aus Fichte-3-Schicht-Platten, die senkrecht mit Nussbaumholz furniert sind. Die Rundung im Außenbereich wurde aus mitteldichten Faser-Biegeplatten gearbeitet. Die aus Nussbaum-Massivholz bestehenden Stufen sind in gefalteter Form ausgebildet und 2 cm tief in die Wangen eingestemmt. Der Raum unter der Treppe wird als Abstellraum genutzt, in dem auch die Versorgungsanschlüsse untergebracht sind.

 

Diese Treppenanlage, hier vom EG aus fotografiert, befindet sich in einem Kirchengebäude aus den 1970er Jahren. Das Gebäude wurde so erweitert, dass im EG eine Kindergartenverwaltung eingerichtet und im OG der Gottesdienst stattfinden konnte. Der Zugang zum Kirchenraum erfolgt über eine neue Holztreppe, die den statischen Erfordernissen standhalten muss.

Die Treppenwangen bestehen aus 76 mm dickem Kerto-Q mit einer Eichenholzdeckschicht. Die Wangen wurden mit einer Nut- und Federausführung verbunden und die Stöße mit Treppenschrauben verpresst. Die Tritt- und Setzstufen sind mit einem Plattenmaterial zu Winkel verleimt. Die Tritt- sowie Stoßflächen der Stufen (Setzstufenvorderkanten) sind mit 5 mm dickem Eichenholzfurnier beklebt.

Der Architekt legte Wert darauf, dass die Durchsicht unter dem Podest gegeben war.

Im Zuge einer Renovierung wurde das Treppenauge vergrößert, um die verbreiterte Wange mit dem Krümmling in der Wendelung besser zur Wirkung kommen zu lassen. Die Wandwange ist auf 22 mm reduziert. Die Stufen sind dem Parkett angepasst, das aus gedämpftem Akazienholz besteht. Die Setzstufen bestehen aus weiß lackiertem MDF (mitteldichte Faserplatten). Die Treppenunterseite ist weiß lackiert, um einen Kontrast zu den dunklen Böden herzustellen und den Treppenaufgang heller wirken zu lassen. Zur optischen Vergrößerung des Flures und Treppenbereiches ist eine im Boden eingespannte Glasbrüstung im 1. OG erstellt worden.

 

Literatur:

 

Das große Buch der Zimmermeister, Manfred Gerner, DVA 1999

 

Neue Wege im Treppenbau, Wolfgang Diehl, Bruderverlag Karlsruhe 1995

 

Scala – Moderner Treppenbau, Wolfgang Diehl, Bruderverlag Karlsruhe 2002

 

Moderne Treppen Band 2, Wolfgang Diehl, Bruderverlag Köln 2014

 

 Verfasser: Wolfgang Diehl 2017